Interview mit Herrn Dr. Reinhold Festge

Herr Dr. Reinhold Festge ist Präsident des Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) und spricht mit der K.O.M. GmbH über die Digitalisierung im Anlagen- und Maschinenbau

K.O.M.: Wie beurteilen Sie die aktuelle Einstellung der Geschäftsführer zur fortschreitenden Digitalisierung im Anlagen- und Maschinenbau? Welche Chancen und Risiken werden dabei wahrgenommen?

bild-3Insgesamt ist das Thema der Digitalisierung in der Produktion, Stichwort Industrie 4.0, im Maschinen- und Anlagenbau angekommen. Die Leitungsebene nimmt Industrie 4.0 als strategisches Thema war, auch wenn die Auseinandersetzung damit von Fall zu Fall unterschiedlich ist. Die 4.0 Readiness-Studie des VDMA hat ergeben: 60 Prozent der Maschinenbauer beschäftigen sich mit der vernetzten Produktion, davon rund ein Drittel intensiv. Dass sind doppelt so viele wie im gesamten Verarbeitenden Gewerbe.

K.O.M.: Worin sehen Sie vornehmlich die Aufgabe des Verbands bei der Betreuung seiner Mitglieder im Rahmen der Digitalisierung der Wirtschaft?

Der Dreiklang lautet: Information, Begleitung, Interessenvertretung.
Der VDMA ist beim Thema Industrie 4.0 von Beginn an dabei und der Verband hat mit dem VDMA Forum Industrie 4.0 ein zentrales Kompetenz-Team für alle wichtigen Handlungsfelder: Forschung, Standardisierung, IT-Sicherheit, Interessenvertretung sowie der Weg zu neuen Geschäftsmodellen.

Im VDMA Forum Industrie 4.0 kommen die Experten aus den unterschiedlichen Fachabteilungen des VDMA zusammen und vernetzen sich mit Industrie und Wissenschaft in Arbeits- und Fachgruppen. Zugleich ist der VDMA stark in die nationale Plattform Industrie 4.0 eingebunden und wir tragen im Interesse der Mitglieder unsere Botschaften deutlich nach Berlin und Brüssel.

K.O.M.: Welchen Herausforderungen sollten sich Ihre Mitglieder bei der Anpassung ihrer Geschäftsmodelle an die Digitalisierung stellen?

Industrie 4.0 kann man nicht fertig „von der Stange“ kaufen. Jedes Unternehmen muss für sich erarbeiten, welche Bedarfe es hat und welche Chancen sich mit Industrie 4.0-Technologien verbinden. Die Herausforderung liegt hierbei darin, die Visionen von Industrie 4.0 auf realisierbare Entwicklungsstufen zu reduzieren, deren Nutzen für das eigene Unternehmen greifbar und auch monetär bezifferbar ist.

Stichwort Geschäftsmodelle: Der Industrie 4.0-Leitfaden des VDMA gibt mittelständischen Maschinen- und Anlagenbauern ein Werkzeug an die Hand, das sie bei der Entwicklung eigener Industrie-4.0-Umsetzungen und -Geschäftsmodelle unterstützt. Damit stellt der Leitfaden keine vorgefertigte Strategie zur Einführung von Industrie 4.0 im Unternehmen dar, sondern zeigt vielmehr Vorgehensweisen für die individuelle Weiterentwicklung der eigenen Stärken und Kompetenzen auf und begleitet das Unternehmen Schritt für Schritt auf dem Weg von der Industrie-4.0-Vision zu eigenen Konzepten und Lösungen.

K.O.M.: Welche Forderungen stellt Ihr Verband an die deutsche Bundesregierung um den digitalen Wandel im deutschen Anlagen- und Maschinenbau zu beschleunigen?

Entscheidend ist, dass Industrie 4.0 nicht an der Landesgrenze aufhört. Es ist vielmehr ein europäisches und internationales Thema. Deutschland spielt dabei eine zentrale Rolle, denn der deutsche Maschinen- und Anlagenbau ist Weltspitze im Bereich der Produktionstechnologien und auch in der Automatisierung und Industrie-IT stehen sind deutsche Unternehmen extrem stark.
Die Forderungen in Richtung Politik lauten daher:

  • Industrie 4.0 gehört auf die politische Agenda: Industrie 4.0 wird dann zum Garant für Wohlstand und Beschäftigung, wenn es als Thema der industriellen Produktion verfolgt wird.
  • Mit unternehmerischen Freiräumen entstehen zudem neue erfolgreiche Geschäftsmodelle. Europäische wie nationale Politik sollte im Dialog mit der Wirtschaft die erforderlichen Rahmenbedingungen mit Augenmaß gestalten.
  • Datensicherheit und ein europaweites Breitbandnetz bilden einen Schlüssel zum Erfolg, zudem braucht es einen digitalen EU-Binnenmarkt aus einem Guss. Nur dann sind Skalenerträge für die Unternehmen möglich und nur dann kann Marktkraft gegenüber den USA und Asien aufgebaut werden.

K.O.M.: Welche Formen von Kooperationen unterstützt Ihr Verband im In- und Ausland?

Der VDMA ist Teil der nationalen Plattform Industrie 4.0, die vom Bundeswirtschaftsministerium und Bundesforschungsministerium geführt wird. Die Plattform Industrie 4.0 kooperiert mit dem Industrial Internet Consortium (IIC), denn es geht um die Abstimmung der beiden Architekturmodelle für Industrie 4.0: RAMI (Referenzarchitekturmodel für Industrie 4.0) und IIRA (Industrial Internet Referenzarchitektur). Beide Systeme müssen künftig Interoperabilität sicherzustellen.
Zudem werden die Plattform Industrie 4.0 und das IIC bei der Standardisierung kooperieren und gemeinsame Testumgebungen nutzen. Dafür haben die Vertreter eine gemeinsame Roadmap entworfen.

K.O.M.: Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung insbesondere auf die Service- und Dienstleistungen Ihrer Branche – gibt es hierfür konkrete Beispiele?

Hervorragende Services und Dienstleistungen spielen bereits heute eine wichtige Rolle im Leistungsportfolio der Maschinenbauunternehmen. Das differenziert die deutschen Unternehmen auch im internationalen Wettbewerb. Mit Industrie 4.0 lassen sich viele neue Konzepte entwickeln, um diese Stärke weiter zu stärken.

Auf der Hannover Messe hat der VDMA in einer Sonderschau beispielsweise das Thema Predictive Maintenance gezeigt, das ist ein wichtiger Baustein in einer Industrie 4.0-Umgebung und kann als eine Weiterentwicklung der bisherigen klassischen Wartungsstrategien angesehen werden.

K.O.M.: San Francisco wird als das „Mekka der Digitalisierung“ bezeichnet – verlieren wir jetzt in Deutschland den Anschluss und wird damit „Made in Germany“ zur Old-Economy?

Keine Frage, in den USA und insbesondere in Kalifornien sitzen viele gute Köpfe und innovative Unternehmen… Doch man muss genau differenzieren: Digitalisierung ist ein Thema für viele Bereiche vom Haus, über das Auto bis hin zu Banken und der Medizin. In diesen Feldern sind die Amerikaner sehr stark.
Die Digitalisierung der Produktion ist hingegen das  Steckenpferd der deutschen Industrie. Der Begriff Industrie 4.0 wurde daher ja auch in Deutschland geprägt…
Daher ist die Aussage eindeutig: Bei Industrie 4.0 liegt das Gravitationszentrum in Deutschland.

K.O.M.: Wo und wie können sich Ihre Mitglieder beim Verband VDMA informieren, wenn es um die Digitalisierung der Prozesse geht?

Das VDMA Forum Industrie 4.0 ist die richtige Adresse. Es gibt Arbeitskreise, Informationsveranstaltungen, viele gute Publikationen, Leitfäden und Studien und zu allen wichtigen Themenfeldern der Industrie 4.0 eine VDMA-Expertin oder einen VDMA-Experten.

K.O.M.: Welchen konkreten Ratschlag haben Sie als Unternehmer und VDMA Präsident für Ihre Mitglieder?

Industrie 4.0 ist keine Parallelwelt.
Die Digitalisierung hat unsere Arbeits- und Lebenswelt bereits nachhaltig verändert, diese Entwicklung wird weitergehen und wir dürfen davor nicht die Augen verschließen.

Mit Blick auf den internationalen Wettbewerb ist zudem klar: Bei der Digitalisierung gilt das Motto „In or Out“. Denn nur wer Industrie 4.0-kompatible Produkte und Prozesse realisiert, eignet sich für die zukünftige Wertschöpfungskette.

Mein Rat daher: Das Thema annehmen und für sich entdecken. Dann wird man schnell zu eigenen Ideen und Herangehensweisen kommen.
Oder mit den Worten des englischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers John Galsworthy: „Wenn Sie nicht über die Zukunft nachdenken, können Sie keine haben.“

 

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