Wie können Innovationen im Mittelstand erfolgreich gemeistert werden? Tipp 2: Die unternehmensspezifische Innovationspersönlichkeit beschreiben und verändern

In der zweiten Woche unseres Innovationsschwerpunkts konzentrieren wir uns auf die Innovationspersönlichkeit, die jedem Unternehmen eigen ist – aber gezielt verändert werden kann.

Tipp 2: Die unternehmensspezifische Innovationspersönlichkeit beschreiben und verändern

Situationsbeschreibung am Beispiel

Ein erfolgreiches Unternehmen im Bereich des Sonderanlagenbaus hat in den letzten Jahren immer mehr mit asiatischen Wettbewerbern und erhöhtem Preisdruck zu kämpfen. Die Innovationskraft des Unternehmens bleibt dabei konstant niedrig, obwohl gerade hier durch eine erfolgreiche strategische Alternative zum internationalen Preiskampf entwickelt werden könnte. Mit ca. 1500 Mitarbeitern  ein klassischer Mittelstandsbetrieb, der an sich gerade in dieser Branche als besonders innovativ gilt. Viele Beispiele zeigen aber das Gegenteil – die Innovationsreserven sind in dieser Branche noch enorm, gemäß dem Motto: Man muss nicht schlecht sein, um besser zu werden.

 

Was ist jedoch geschehen?

Das Unternehmen steht aufgrund des gestiegenen asiatischen Wettbewerbs unter einem immer größer werdenden Leidensdruck hinsichtlich seiner Ertragskraft. Leider wurde dieser Leidensdruck im Unternehmen falsch kanalisiert, was aus Angst vor Arbeits- und Machtverlust zu einem Rückzug der Entscheidungsträger führte. Fehlende Dynamik und Eigeninitiative prägten den Innovationsprozess der Unternehmung. Ohne direkte Impulse durch die Machtpromotoren (Geschäftsführung und Inhaber) kam es zu keiner signifikanten Innovation in den letzten Jahren. Da die Impulse nur rudimentär sein konnten, begannen selbst klare und konkrete Ansätze in der Organisation zu versanden. Das Unternehmen lief Gefahr, im Bereich der Innovation still zu stehen, trotz größerer Investitionen in Methoden sowie in Organisationbereiche, die für ein professionelles Innovationsmanagement verantwortlich sind.

Eine Analyse der Innovationspersönlichkeit dieses Unternehmens war notwendig geworden, um die Schwachstellen, Blockaden, Motivationsreserven und notwendigen Handlungsfelder zu erkennen.

Dabei war es wichtig, nicht nur einen Teilaspekt zu beleuchten, wie z. B. eine Optimierung der F & E-Prozesse, sondern das Unternehmen als einen ganzen Organismus zu untersuchen und damit als eigenständige Persönlichkeit zu analysieren. Diese Analyse basierte auf den Erkenntnissen verschiedener Forschungsprojekte, die sich mit der Frage beschäftigen, warum manche Organisationseinheiten leichter und andere weniger leicht zu führen und zu verändern sind. Dieses Analyse-Tool führt zu einem Innovations-EKG, das die wesentlichen „Herzfunktionen“ im Innovationsmanagement überprüft.

 

Problemdiagnose

Als erster Schritt wurde über Desk-Research-Analysen und qualifizierte Interviews versucht, die grobe Typologie des Unternehmens zu beschreiben. Diese sehr grobe Betrachtung dient dazu, zentrale Schwerpunkte im Überblick zu erkennen.

Die Darstellung zeigt eine Matrix bestehend aus zwei Achsen:

 

Achse 1: Psychologische Innovationsreife

Typische Fragen sind dabei:

  • Inwieweit ist die Organisation überhaupt reif für Innovationen?
  • Wie ist die Einstellung der Mitarbeiter und Führungskräfte in der Organisation hinsichtlich Neuerungen?
  • Wie ist die Stimmungslage im Unternehmen bei Innovationsprojekten?
  • Welche Treiber und welche Bremser gibt es im Innovationsmanagement?
  • Sind die Kräfte zwischen Machtpromotoren – Fachpromotoren, Prozesspromotoren und Stimmungspromotoren (vgl. Witte 1973, S. 17 f., Hauschild 1988, S. 378–388, Neun 2012, S. 51 ff.) – richtig verteilt?

Ziel bei der Analyse dieser Achse ist es festzustellen, wie das Unternehmen hinsichtlich seiner Softfact-Struktur aufgestellt ist und wo die Innovationspsychologie therapeutisch eingreifen muss, um eine Optimierung des Innovationsmanagements zu erreichen.

 

Achse 2: Organisatorische und methodische Umsetzungsreife

Typische Fragen sind hier:

  • Welche Organisationsformen hat das Unternehmen für das Innovationsmanagement gewählt?
  • Auf welche Methoden setzt das Unternehmen bei seiner Innovationskraft?
  • Welche zentralen Prozesse hat es installiert und welche angepasst?
  • Wie lautet die Innovationsstrategie und ist diese kompatibel zur bestehenden strategischen Identität?
  • Wie „bürokratisch“ bearbeitet das Unternehmen Innovationsideen?

Ziel bei der Analyse dieser Achse ist es, die groben Rahmenbedingungen in Organisation, Methodik und Ausrichtung zu beschreiben. Dabei sollen Vergangenheit und Gegenwart intensiv betrachtet werden, um einen faktischen Wandel und dessen Auswirkung zu prognostizieren.

 

In Kombination beider Achsen gibt es links oben die Ideenfabrik. Eine Art von Innovationspersönlichkeit im Unternehmen, die viele Ideen, hoch kreative Ansätze und unendlich viele Absichten produziert, aber mangels einer professionellen Systematik und Organisation eine direkte Umsetzung mit Markterfolg verhindert (z. B. Märklin).

Links unten haben wir die Dinosaurier, die weder die Ideen noch die Methoden haben, um sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten – eine Innovationspersönlichkeit, die unweigerlich zum Aus führen muss (z. B. Solarindustrie). Rechts unten haben wir die Technokraten. Dies charakterisiert Unternehmen, die sich durch sehr professionelle und moderne Methoden im Innovationsmanagement auszeichnen, viele intelligente Tools haben, aber kaum Eigeninitiative und Mut entwickeln (z. B. Unternehmen aus Sonderanlagenbau).

Rechts oben befinden sich die Gewinner bzw. Benchmarks. Hier stimmt alles, sowohl die psychologischen Voraussetzungen als auch die dafür notwendigen Rahmenbedingungen. Als Innovation-Excellence bezeichnet zeigen diese Unternehmen, wie durch eine intelligente Neuroführung und solide Methodik sowie Organisationsentwicklung eine innovative Unternehmensführung möglich wird. Beispiele gibt es hierfür genügend. Eines ist die Schott AG, die 2012 den deutschen Innovationspreis gewann. Ein weiteres Beispiel ist ein Unternehmen, das im Bereich der Medizintechnik dank seiner hervorragenden innovativen Produktansätze für das optimierte Krankenhaus von morgen rasant wächst.

 

In unserem Beispielunternehmen handelt es sich um einen klassischen Technokraten. Trotz umfassender Investitionen in Methoden, IT-Lösungen, Organisationsentwicklung und Mitarbeiterschulung gelang es nicht, die Innovationskraft zu steigern. Die mentale Reife fehlte in der Organisation. Um hier eine bessere Diagnose erstellen zu können, wurde ein detailliertes Innovations-EKG durchgeführt. In der nächsten Abbildung finden Sie ein derartiges Innovation-EKG als anonymisiertes Beispiel. Über diese Detailanalyse können neben der Grobeinschätzung bezogen auf die Innovationspersönlichkeit auch die konkreten Handlungsfelder zur Veränderung abgeleitet werden.

In unserem Beispiel waren diese zentralen Ansätze:

  • Fehlende Innovationsstrategie und Vision zur Orientierung aller Mitarbeiter und Promotoren
  • Fehlende Bereitschaft zur offenen internen Kommunikation
  • Fehlende bzw. unklare Kompetenzreglungen zur Entscheidungsfindung und aktiven Übernahme von Verantwortung
  • Unreife Innovationskultur, was den Umgang mit Ideen, Veränderungen und Kritik anbelangt
  • Falsche Fehlerkultur aufgrund des wirtschaftlichen Drucks, was zur indirekten „Fehlerbestrafung“ führte und eine lernende Organisation verhinderte

 

Problemlösung

Um nun diese obengenannten Defizite systematisch und nachhaltig zu beseitigen, bedurfte es einiger Überzeugungsarbeit bei den Macht-/Fachpromotoren, weniger bei den Prozess- und  Stimmungspromotoren, denn diese erkannten schnell die Chancen. Bei den Macht-/Fachpromotoren hingegen führte falscher Ehrgeiz, alles allein zu können, zu einer Fehleinschätzung der tatsächlichen Situation, und ein territoriales Verteidigungsverhalten erzeugte dann eine Veränderungsblockade. Die ehrliche Auseinandersetzung mit den Analyseergebnissen verlangte schon ein hohes Maß an Selbstkritik und Veränderungswillen. Hierbei war es wichtig, eine weitere Erkenntnis aus der Psychologie einzusetzen – der Art und Weise, wie wir Veränderungen erleben und lebendig machen.

Die nächste Abbildung  zeigt eine Art „Naturgesetz der Veränderung“ bei Gesellschaften, Organisationseinheiten und beim Menschen selbst.

 

Drei Phasen definieren dabei den Veränderungsprozess (vgl. Neun, 2011, S. 137 ff.):

 

Phase 1: Unfreezing

Die wichtigste Phase bei Veränderungsprozessen ist die Auftauphase. Nur wenn es gelingt, die Menschen davon zu überzeugen, dass alle bisherigen Aktivitäten, Vorgehensweisen oder Anstrengungen zukünftig nicht mehr zum Erfolg führen, kann die Veränderung wirklich eingeleitet werden.

Die Menschen müssen die Veränderung WOLLEN und dabei ist das MÜSSEN der Feind des WOLLENS.

Jede Veränderung ist eine solche Gefahr, da hier oftmals die Chance eines Verlustes, einer Verletzung oder einer existentiellen Bedrohung verborgen sein könnte. Auf körperliche oder psychische Bedrohung reagieren wir mit einem Schutzreflex – auch Fluchtreflex genannt. Eine typische Schmerzvermeidungsstrategie gilt es in der Unfreezing-Phase gezielt auszuschalten und Lust auf die Veränderung zu machen.

Eine Lustgewinnungsstrategie lässt Veränderungen schneller und nachhaltiger werden, was zu mehr Geschwindigkeit und höheren Erfolgschancen führt. Unsere Kommunikation muss sensibler, die Sprache blumiger, die Chancen-Risiko-Balance deutlicher und die positiven Gefühle bei erfolgreicher Umsetzung der Veränderung bewusster dargestellt werden.

 

Phase 2: Change

Wenn diese Change-Phase eintritt, dann wird das Leistungsniveau erst einmal wesentlich schlechter. Dies hat seine Ursachen in der Vernetzung von Routinen in unserem Gehirn. Denn gerade Routinen erleichtern uns das Leben. Wer möchte schon jeden Morgen im Bad darüber nachdenken müssen, ob er zuerst die Zähne putzt oder duschen geht. Automatismen entlasten das Gehirn. Bei wesentlichen werden unsere Routinen durchbrochen und wir müssen ent-lernen, um Neues dazu zu lernen. Während dieses Prozesses werden wir langsamer und schlechter – das Leistungsniveau sinkt.

Wichtig ist in dieser Change-Phase, dass man das Ausprobieren und Suchen nach neuen Routinen auch bewusst zulässt und genau darauf achtet, wann der Scheitelpunkt des Einschreitens, also das Stopp für den Change, erreicht ist. Diesen Punkt darf man nicht verpassen, da ansonsten die Veränderung im Chaos endet. Eine Vielzahl von Signalgebern unterstützt dabei den Führungsprozess in dieser kritischen Phase der Veränderung. In unserem konkreten Fall galt es, eine neue Innovationsstrategie spielerisch aufzubauen und notwendige Anpassungen in der Organisation mit den Betroffenen zu diskutieren. Am Ende dieser Diskussion war sehr schnell erkennbar, dass die Veränderung ab jetzt keine substantiellen neuen Ideen hervorbringt.

Das Management stoppte daraufhin die Change Phase. Ein tragfähiges und nachhaltiges Gesamtkonzept war das Ergebnis dieser Arbeit und damit der erste Schritt im Veränderungsprozess vom reagierenden zum agierenden Innovator mit hoher Innovation-Excellence-Qualität angegangen.

 

Phase 3: Refreezing

Jetzt galt es, in unserem konkreten Beispiel aus dieser neuen Innovationsstrategie und den daraus abgeleiteten Organisations-/Prozessanpassungen neue Routinen zu gestalten, Routinen, die die Neuausrichtung des Unternehmens beschleunigen und für Stabilität und Nachhaltigkeit sorgen sollen.

Damit dies erfolgreich gelang, war es wichtig, wiederum alle Betroffenen zu Beteiligten zu machenund ihnen vor allem ausreichend Zeit zu lassen, um das „Neue“ einzustudieren. Feedback-Schleifen sorgten für eine Feinanpassung und fingen negative Stimmungen sofort auf. Dabei darf das Feedback nicht zufällig sein, sondern muss über eine professionelle Projektstruktur institutionalisiert werden. Einer in Methoden der Neuroführung geschulten Führungsmannschaft fällt es dabei sehr leicht, die Überzeugungsarbeit und Vorgehensweise einer Routinenbildung zu unterstützen.

Die Refreezing-Phase ist genauso wichtig wie die Unfreezing-Phase. Denn mit der Standardisierung der Neuerung über Routinen erreicht man eine neue Konditionierung der Betroffenen und zeigt über Erfolge, wie wichtig die Entscheidung für die Veränderung war. Dies baut Brücken für die nächste notwendige Veränderung in der Organisation oder bei den Menschen – denn nichts ist so beständig wie der Wandel.

 

  • Bobachten Sie einmal beim nächsten Change-Prozess die oben beschriebenen Phasen und bewerten Sie diese nach Notwendigkeit und Wirkung.
  • Wo würden Sie Ihr Unternehmen bezüglich der Art von Innovationsunternehmen einordnen und wie würden Sie die Innovationspersönlichkeit dabei beschreiben?
  • Welche Kriterien sollten im Rahmen eines Innovations-EKG aus Ihrer Sicht in Ihrem Unternehmen detailliert analysiert werden und warum?
  • Welche Veränderungsstrategien haben Ihre letzten Veränderungsprozesse begleitet und wie deckungsgleich ist dies mit dem beschriebenen Beispiel und Inhalten?
  • Lassen Sie einmal Ihre Führungskräfte ein visuelles, kein verbales Bild von der Innovationspersönlichkeit Ihres Unternehmens zeichnen und diskutieren Sie dies bei einem internen Workshop.

 

Nächste Woche folgt hier Tipp 3:  Eine nutzenorientierte Innovationsbilanz erstellen.

Quelle:

Dieser Artikel hat Ihr Interesse geweckt? Entdecken Sie das gesamte Werk „Innovationen im Mittelstand erfolgreich managen“ von Winfried Neun  (SpringerGabler Verlag / Springer Fachmedien, Wiesbaden, 2014, ISBN: 978-3-8349-3106-1) !


Weitere Quellen:

Hauschild, J.; Chakrabarti, A.: Arbeitsteilung im Informationsmanagement – Forschungsergebnisse, Kriterien und Modelle, in: Zeitschrift für Organisation 1988, Jg. 57, S. 378–388

Neun, Winfried: Warum es uns so schwerfällt, das Richtige zu tun. Die Psychologie der Entscheidungen, Göttingen: BusinessVillage 2011

Neun, Winfried: Nach dem Crash ist vor dem Crash. Praktische Tipps, um aus Krisen zu lernen und neue zu vermeiden, Wiesbaden: Springer Gabler 2012

Witte, Eberhard: Organisation für Innovationsentscheidungen. Das Promotoren-Modell, Göttingen: Schwarz 1973

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